Hinterm Klingel !

von Franz Wieland - 1953

1:
Vor dem Klingel warn die Leute
früh schon auf besondrer Höhe,
glaubten, daß man hinterm Klingel
auf viel tiefrer Stufe stehe.
Stellte sich vorn jemand dumm an,
klang es gleich grad wie im Reim:
„Schaut den an, man könnt fast meinen,
der ist hinterm Klingel daheim.“
Hinterm Klingel hätten ’d Mannsleut,
nach dem wie man vorn hat g’logen,
ja sogar noch ihre Hose
mit der Beißzang angezogen.
Wer von dort kam, war gerichtet
und wer dort war gar gebor’n,
an dem war - so hieß es vorne
Malz und Hopfen ganz verlor’n.
Ja, die Leute vor dem Klingel
schauten stets voll Hohn und Spott
auf die Leute hinterm Klingel,
weil die nicht - wie sie - so flott.

2:
Vor dem Klingel früh die Frauen
haben neuste Mod’ getragen:
Reifrock und Pariser Hüte,
Stöckelschuh und Spitzenkragen.
Gernsbach hatte schon ein Trottoir,
drauf stolzierten sie so süß !
Gaggenau in aller Munde
heißt schon lang ja „Klein-Paris“.
Hinterm Klingel aber trugen
Frau’n und Mädchen lang noch „Peter“
und dazu noch den Kapotthut,
woll’ne Strümpfe, dick wie Leder.
Lange Röck’ mit Besenlitzen,
die hoch wirbelten den Staub,
und ein dickes Baumwollkopftuch,
ließ sie ausschau’n alt und taub.
Drum die Damen vor dem Klingel
schauten stets voll Hohn und Spott
auf die Weibsleut hinterm Klingel,
weil die nicht - wie sie - so flott.

3:
Vor dem Klingel auch die Herren
war’n schon früh der Mod’ verfallen;
denn sie haben sich in Fräcken
und Zylindern gut gefallen.
Hohe Kragen, Vatermörder,
am Spazierstock Silbergriff,
Lackschuh, Gogs und bunte Weste.
Auch die Herren hatten Schliff.
Hinterm Klingel haben ’d Männer
lang noch ihren Dschobe b’halten,
und die Hose, nie gebügelt,
hatten stets gar arge Falten.
Ihren Kopf ein Schlapphut zierte,
ihr Gesicht ein Backenbart,
grobe Bergschuh an den Füßen;
richtig knorrig war die Art.
Drum die Herren vor dem Klingel
schauten stets voll Hohn und Spott
auf die Mannsleut hinterm Klingel,
weil die nicht - wie sie - so flott.

4:
Vor dem Klingel war früh Leben.
Niemand das wohl je bestreitet;
und man hat die vor dem Klingel
hinterm Klingel oft beneidet.
Deshalb meinte man dann vorn,
daß allein dort nur Kultur,
weiter hinten aber davon
wär auch nicht die g’ringste Spur.
Hinterm Klingel aber wollten
die von vorn stets Zuflucht finden,
und in schlimmen Kriegeszeiten
flüchteten sie gern nach hinten.
Dann war alles hinterm Klingel
lieb und gut und schön und recht,
und die Schnitz’ und Keschte schmeckten
dann auf einmal gar nicht schlecht.
Aber trotzdem ’d Leut vorm Klingel
schauten stets voll Hohn und Spott
auf die Leute hinterm Klingel,
weil die nicht - wie sie - so flott.

5:
Vor dem Klingel war’n ’d Leut reicher,
denn da gab’s schon früh Fabriken,
wo sie konnten Geld verdienen
und so ihre Frauen schmücken.
Doch das Wasser, das getrieben
vorn die Mühlen und die Werk’
kam vom hintern Murgtal immer,
von de Bückel und de Berg.
Hinterm Klingel war’n ’d Leut ärmer;
denn gar mager sind dort ’d Felder,
und es gab lang kei’ Fabrike;
schlecht stand’s deshalb um die Gelder.
Und die Bauern hinterm Klingel
trugen ihren alten Kittel
nur weil zu ’me neue Anzug
ihnen fehlten halt die Mittel.
Drum noch lang die Leut vorm Klingel
schauten stets voll Hohn und Spott
auf die Leute hinterm Klingel,
weil die nicht - wie sie - so flott.

6:
Vor dem Klingel ist das Bähnle
lang die Gernsbach nur gefahren;
das hat ’d Leut vorn schon recht stolz g’macht
immer stolzer mit den Jahren.
Dazu noch die Querverbindung
Baden-Baden - Herrenalb,
hat die vorn nahzu verrückt g’macht,
wohl nit ganz, doch sicher halb.
Hinterm Klingel war’s lang ruhig
bis kurz vor ’d Jahrhundertwende.
Da entstanden dann Fabriken
und die brachten Geld in ’d Hände.
Murgtalstraß’ und ’d Murgtalbahn dann
gingen durch bis Freudenstadt,
und das Murgwerk schließlich allem
aufgesetzt die Kron’ noch hat.
Mit der Zeit die vor dem Klingel
schauten nicht mehr voller Spott
auf die Leute hinterm Klingel
weil die nicht - wie sie - so flott.

7:
Vor dem Klingel jetzt es so ist:
Neues gibt’s dort auch nur selten,
und die Leut’ von vorne brauchen
auf die hinten nicht mehr schelten.
Oft sie suchen auf den Höhen
hinterm Klingel frische Luft;
da kann man sie wandern sehen
und genießen Tannenduft.
Hinterm Klingel gab’s ein’ Umschwung;
denn wer Geld hat, kann was kaufen,
und so sieht man Frau’n und Männer
jetzt in neuster Mod’ dort laufen.
Ja, es hat sich ausgeklingelt!
Nichts ist’s mehr mit jenem Reim:
„Wer altmodisch angezogen,
der ist hinterm Klingel daheim!
Jetzt die Leute vor dem Klingel
schaun nicht mehr voll Hohn und Spott
auf die Leute hinterm Klingel,
denn die sind jetzt grad so flott!

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